Akademischer Abend Antisemitismus
Kurz vor dem Reformationstag, am 29.10. 2021, fand ein gut besuchter akademischer Abend zum Thema "Antisemitismus in Kirche und Gesellschaft" im Handwerkersaal der Pfeifferschen Stiftungen statt. Die Veranstaltung wurde in Kooperation mit der Evangelischen Erwachsenenbildung und ihrer Leiterin Annette Berger durchgeführt, die zu Beginn auf das Programm der EEB anläßlich des Jubiläums 1700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland hinwies. Einleitend berichtete Dr. Heusinger von Waldegg, Chefarzt der Pfeifferschen Stiftungen und Co-Vorsitzender des EHB, anhand eines Familienfotos von seiner persönlichen Motivation, den Kampf gegen Antisemitismus zu einem Herzensthema zu machen. Referiert haben an diesem Abend Dr. Christian Staffa, Ev. Akademie Berlin und Antisemitismusbeauftragter der EKD, Landesbischöfin a.D. Ilse Junkermann, Teja Begrich, Pfarrer in Mühlhausen und Beauftragter der EKM für den christlich-jüdischen Dialog sowie Dr. Wolfgang Schneiß, Ansprechpartner für jüdisches Leben in Sachsen-Anhalt und gegen Antisemitismus in der Staatskanzlei. Als erster Redner stellte Christian Staffa seine Thesen zum Antisemitismus vor. Hier ein Auszug:
Antisemitismus ist ein grundlegender Bestandteil der christl. Tradition – zu allen Zeiten und in allen Formen. Antisemitismus ist in all seinen Erscheinungsformen eine Projektion und hat mit realen Juden nichts zu tun. Antisemitismus dient dem eigenen Selbstbild, ist ein Konstrukt; lebt von der Defizitbeschreibung, dass wir als Christ:innen gegenüber den Juden die Gnade und die Freiheit haben und sie nur das Gesetz und das Starre.
Antisemitismus ist eine ständige Wiederkreuzigung der Juden, weil der Glaube an das Opfer Jesu am Kreuz nicht ausreicht.
Antisemitismus ist von narzisstischer Kränkung geprägt. Die Angewiesenheit auf das Judentum soll verschwinden, was aber nicht gelingen kann und zu Aggressionen führt.
Antisemitismus braucht eine Selbstreflexion, weil er in allen Kontexten vorkommt, er ist Teil unserer Wirklichkeit. Es braucht eine ewige, immer wieder neue Beschäftigung mit dem Antisemitismus; auch institutionelle Strukturen müssen dafür geschaffen werden.
Staffa sprach sich für eine "Erziehung zur Zartheit" aus = die Mutmachen soll, in unseren Verstrickungen trotzdem handlungsfähig zu sein.
Frau Ilse Junkermann und Herr Teja Begrich stellten die verschiedenen Projekte und Initiativen eines jüdisch-christlichen Dialogs in der EKM vor. Sie berichteten u.a. von der Einrichtung des Beirats im Jahr 2014, von den sehr erfolgreichen Toralerntagen, der überarbeiteten Ausstellung im Lutherhaus incl. der Auseinandersetzung mit "Martin Luther und die Juden" im Reformationsjubiläumsjahr, von der Sonderausstellung und Tagung zum Entjudungsinsitut in Eisenach, von der Initiative für 900 Jahre jüd. Kultur und Vorgeschichte und dem Projekt "Tora ist Leben".
Herr Schneiß, der seit 2018 Ansprechpartner für jüdischen Leben und gegen Antisemitismus in Sachsen-Anhalt ist, berichtete von der einschneidenden Erfahrung des 9. Oktober 2019, als in Halle das Attentat auf die Synagoge verübt wurde und verdeutlichte, wie groß der Wahrnehmungsunterschied in Bezug auf die Existenz von Antisemitismus unter Jüd:innen und Nicht-Jüd:innen ist und wie sehr diese auf unsere Solidarität angewiesen sind.
Bei der anschließenden Podiumsdiskussion wurde u.a. auch über den Umgang mit dem sogenannten akademischen Antisemitismus und der Kritik an Israel diskutiert. Deutlich wurde, dass Antisemitismus auch eine/n jede/n von uns in der ein oder anderen Form betreffen kann und dass wir alle dazu aufgerufen sind, Antisemitismusbeauftrage zu sein. Die Verschwörungs- und Querdenkerszenen zeigen die Notwendigkeit und Aktualität dafür!
Bericht Angela Kunze-Beiküfner, Fotos: Gernot Heusinger von Waldegg